Feminislam
Feminislam
19. Oktober 2017
Von den Zwängen eines feministischen Diskurses in einer religionskritischen Öffentlichkeit
Von Dr. Nimet Seker, Goethe Universität Frankfurt am Main
(JIK Talks, Berlin, 19.10.2017)
Wir sind heute hier, um verschiedene Positionen zum islamischen Feminismus zu hören. Und in den Augen des Publikums stehe ich vermutlich als muslimische „Theologin“ hier. Aus dem Grunde erwarten Sie vermutlich auch, dass ich Ihnen etwas zur Theologie des islamischen Feminismus erzähle. Das werde ich heute aber nicht tun, da Sie das in unzähligen Büchern nachlesen können.
Ich möchte heute über etwas anderes sprechen: Ich möchte über ein Problem sprechen, das in der Debatte – in der akademischen wie auch in der öffentlichen Debatte – zu wenig angesprochen wurde: Die Schwierigkeit, eine echte Patriarchatskritik aus islamischer Perspektive zu üben, wenn man unter ständiger Beobachtung und Bewertung einer nicht-muslimischen und größtenteils religionsfeindlichen Öffentlichkeit spricht.
Ich sehe in der öffentlichen Debatte eine Schieflage, die eine assymetrische Verlagerung der eingenommenen Positionen der Sprecher_innen im feministischen Diskurs zur Folge hat. Ich thematisiere diesen Punkt, weil feministische Kritik auch Herrschaftskritik meint. Und in diesem Punkt geht es genau um Herrschaftskritik.
Erstens: Egal wie frau/man sich äußert, frau/man wird als Repräsentan_in einer muslimischen Community wahrgenommen, auch wenn frau/man sich selbst so nicht sieht und sich das selbst nicht zur Aufgabe gemacht hat. Dies ist das Problem einer Fremdzuordnung von Sprecher_innen im Diskurs. Diese Fremdzuordnung betreiben Muslime genauso wie die nicht-muslimische Öffentlichkeit.
Muslimischen Frauen in Deutschland sind derzeit kaum fähig, eigene Themen zu setzen.
Zweitens: Es gibt einen Erwartungsdruck, sich zu bestimmten Themen äußern zu müssen. Das bedeutet wiederum, die muslimischen Frauen in Deutschland sind derzeit kaum fähig, eigene Themen zu setzen. Die Themensetzung erfolgt durch nicht-muslimische Multiplikatoren, die meist kein Wissen über den Islam und die Lebensrealität von Muslimen haben. Ein Beispiel: Die Mehrzahl der Medienanfragen an mich repräsentiert meines Erachtens nur die Perspektive der Medienmacher. Sie wollen nur, dass ich Ihnen ein O-Ton gebe für einen Beitrag, den sie geschrieben haben, und dessen Thema und Stoßrichtung sie ausgesucht haben. Wie in den Talkshows soll mein O-Ton eine Rolle spielen in einem Theaterstück, in dem nur vorgegeben wird, dass meine Fragen und Anliegen im Vordergrund stehen. Oftmals geht es in diesen Beiträgen (auf, wie ich finde, sexistische Weise) um den Körper der muslimischen Frau oder um Dinge, die den körperlichen Aspekt im Subtext ansprechen: Um das Kopftuch, um die biografische Erfahrung von muslimischen Frauen, um muslimische Mode, um Rassissmuserfahrungen (wieder Kopftuch) etc. Oder es geht um das, was die Medienmacher vom islamischen Feminismus verstanden oder auch nicht verstanden haben. So habe ich schon zahllose Interviews gegeben, die am Ende doch nicht gesendet wurden, weil ich keine passenden O-Töne gegeben habe. Der muslimische Feminismus steht hier vor der Gefahr, von einer Aufmerksamkeitsindustrie benutzt zu werden.
Die Gefahr der Selbstbeweihräucherung von muslimischen Feministinnen in einer religionskritischen Öffentlichkeit
Drittens: Ich sehe die Gefahr der Selbstbeweihräucherung von muslimischen Feministinnen in einer religionskritischen Öffentlichkeit. Der jahrzehntelang andauernde Diskurs über einen sogenannten „rückständigen“ und „unaufgeklärten“ Islam hat eine Grundlage erschaffen, auf der frau als selbsternannte „Feministin“ ja nur Applaus bekommen kann. Von diesem Applaus und der damit einhergehenden Anerkennung geht eine ungemeine Anziehung aus. Von ihm geht die Versuchung aus, Kritiker_innen blind werden zu lassen dafür, dass sie irgendwann vielleicht auf der einen oder anderen Seite eines hegemonialen Diskurses stehen. Ich lasse hier bewusst undefiniert, was ich mit „hegemonialem Diskurs“ meine, denn die Diskursräume können sich auf unterschiedliche Weise öffnen und auch auf unsichtbare Weise Machtstrukturen generieren. Das heißt, hegemoniale Diskurse können auch innerhalb muslimischer oder migrantischer Communities statt finden. Jemand, der/die in einem hegemonialen Kontext für marginalisierte Gruppen spricht, kann innerhalb dieser marginalisierten Gruppe wiederum für eine Machtposition stehen.
Viertens: Die diskursive Schieflage besteht auch innerhalb der muslimischen Communities. Wird Kritik an Strukturen und Phänomen wie Sexismus und Frauenfeindlichkeit innerhalb der Community geäußert, gilt frau/man schnell als Verräter_in, weil frau/man ja neue „Argumente“ für einen bereits angeheizten islamfeindlichen Diskurs bietet. In einem Kontext, in dem Frauen wegen ihres Kopftuchs systematisch ausgegrenzt werden, traut sich niemand in der Community, öffentlich am Kopftuch etwas auszusetzen. Denn das könnte ja die Stigmatisierung der Frauen mit Kopftuch weiter voran treiben. Frauen, die das Kopftuch ablegen wollen, müssen daher einen anstrengenden Kampf an zwei Fronten kämpfen: In der muslimischen Community glauben viele, dass sie sich mit dem Ablegen des Tuchs vom Glauben abwenden. Und in der nicht-muslimischen Öffentlichkeit glaubt man, Frauen, die das Kopftuch ablegen, hätten sich vom rückständigen Islam befreit. Die individuellen Gründe für die Entscheidungen solcher Frauen – wie etwa Diskrimierungserfahrungen – interessieren da oftmals auch die „Frauen befreinde“ Seite der Debatte nicht.
Muslimische Feministinnen sind oftmals nicht offen für Kritik und Gegenrede aus den eigenen Reihen
Fünftens: Muslimische Feministinnen sind oftmals nicht offen für Kritik und Gegenrede aus den eigenen Reihen. Die Reaktionen sind meistens empfindlich, vor allem wenn die Kritik substantiell und gut begründet ist. Meine Beobachtung ist, dass muslimische Feministinnen – vor allem in akademischen Kreisen – nur unter Gleichgesinnten debattieren und kaum offen sind für Meinungsunterschiede innerhalb des Feminismus. Ein Beispiel: In der feministischen Koranexegese gilt die Prämisse, dass der Koran kein patriarchalischer Text ist, sondern dass die Auslegung des Korans durch Männer erst frauenfeindliche Elemente im religiösen Denken generiert hat. Die „Göttinnen“ der feministischen Koranforschung wie Amina Wadud und Asma reagieren empfindlich, wenn gesagt wird, dass der Korantext auch patriarchalische Elemente aufweist. Denn er reflektiert als eine ursprünglich mündliche Rede in einem historischen Kontext ja die kulturellen Realitäten seiner historischen Ersthörer. Eine authentische feministische Koranlektüre muss sich meines Erachtens auch mit diesen sensiblen Fragen beschäftigen können, ohne in Apologetik zu verfallen. Mit Kritik umgehen können, bedeutet auch, den eignen Ansatz immer weiter zu entwickeln, gegebenenfalls zu korrigieren und nicht in die Falle des „absoluten Wahrheitsanspruchs“ zu tappen. Ich denke, die Empfindlichkeit der muslimischen Feministinnen ist darin begründet, dass sie ihren feministischen Diskurs unter Beobachtung einer islamfeindlichen Öffentlichkeit betreiben.
Sechstens: Die religions- und islamkritische öffentliche Atmosphäre in Deutschland erschwert es muslimischen Feministinnen, eine echte Patriarchatskritik nach innen zu formulieren. Diese Kritik findet weitestgehend im nicht-öffentlichen Raum oder gar nicht statt. Daher möchte ich hier die Frage stellen: Wie ist es möglich, eine Patriarchatskritik aus muslimischer Sicht zu äußern, ohne dabei von Islam- und Frauenhassern vereinnahmt zu werden?
Ich wünsche mir die Freiheit, nicht vereinnahmt zu werden.
Und abschließend: Was wünsche ich mir? Ich wünsche mir Freiheit. Die Freiheit, in einer religionskritischen und sensationsgeilen Öffentlichkeit ohne Zwang sagen zu können, was ich wirklich denke. Die Freiheit, selbst Themen und Prämissen zu setzen, und mich nicht anbiedern zu müssen, um Applaus zu bekommen. Die Freiheit, nicht wieder Sprachrohr für irgendjemanden sein zu müssen. Nicht für einen Verein oder einen Verband und auch nicht für irgendeine „Richtung“ von Wasauchimmer. Und nicht für die muslimische Frau sprechen zu müssen, die es ohnehin nicht gibt. Die Freiheit, nicht vereinnahmt zu werden. Die Freiheit, nicht mein Buch zum islamischen Feminismus verkaufen zu müssen, und die Freiheit, nicht meinen Lebenslauf mit dem Thema „islamischer Feminismus“ verschönern zu müssen.
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- von JIK Redaktion
- am 19. Oktober 2017