Und doch haben wir einander kennengelernt
Und doch haben wir einander kennengelernt
8. Juli 2019
Als ich mich vor zwei Jahren für die Junge Islam Konferenz in Schleswig-Holstein angemeldet habe, konnte ich natürlich nicht wissen, dass ich ein Mädchen kennen lernen werde, das ich einige Monate später als meine beste Freundin bezeichnen würde. Ich konnte nicht erahnen, dass ich Geschichten hören würde, die mich bis heute tief berühren. Und ich hätte nicht gedacht, dass ich dabei sein werde, wenn sich zwei Nachbarn unerwarteter Weise in einer Bar in einem anderen Kontinent wiedertreffen.
Nachdem ich 2016 mein Abitur in der Tasche hatte, saß ich einige Tage später im Flensburger Rathaus und machte einen sogenannten „Bundesfreiwilligendienst mit Flüchtlingsbezug“.
An einem normalen Arbeitstag saß ich in meinem Büro vor dem PC und bekam eine E-Mail mit der Ausschreibung für die „Junge Islam Konferenz“ weitergeleitet.
Im Januar sollte eine Länderkonferenz in Schleswig-Holstein stattfinden. Gehört hatte ich vorher noch nichts von dem Dialogforum, das jungen Menschen zusammenbringen möchte, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich rund um die Themen Islam und ein diverses Zusammenleben in Deutschland auszutauschen. Ich las die Ausschreibung und fand heraus, dass es bei der Konferenz um die Themen Identität, Zugehörigkeit und den Umgang mit Rechtspopulismus gehen sollte. „Eigentlich genau die Themen, für die ich mich interessiere“, dachte ich, klickte sofort auf den Anmeldebutton und schickte meine Bewerbung los.
Und so kam es, dass ich im Januar 2017 wieder einmal in einem Rathaus saß. Dieses Mal allerdings in Kiel und nicht alleine in einem Büro vor dem PC, sondern in einem Flur auf einem Sofa, neben Gleichaltrigen, mit einem Grünen Tee in der Hand. Wir warteten auf den Start der Konferenz. Nach und nach trudelten weitere Teilnehmende ein. Unter ihnen auch ein Mädchen, das im Vergleich zu meinem riesigen Koffer eine ziemlich kleine Reisetasche dabei hatte. Sie sah sympathisch aus und war offensichtlich alleine angereist, daher ging ich auf sie zu: „Moin, ich bin Dana. Aus Flensburg. Und aus welcher Stadt kommst du?“ Das Mädchen kam eigentlich aus Nordrhein-Westfalen und machte in Schleswig-Holstein ein freiwilliges soziales Jahr. Sie war also auch eine Freiwillige. Damit hatten wir schon unser erstes gemeinsames Thema gefunden und kamen ins Gespräch. Mit ihr zu reden war unkompliziert und fühlte sich vertraut an, als würden wir uns schon ewig kennen. Das war der Beginn unserer Freundschaft.
Zum Ausklang des ersten Konferenztages gingen wir noch mit einer größeren Gruppe in eine Bar. Mir blieb dieser Abend so genau in Erinnerung, dass ich immer noch aufzählen könnte, wer welches Getränk bestellt hatte. Mir fiel schon damals auf, dass man allein an der Getränkebestellung erkennen konnte, was für ein bunt zusammengewürfelter Haufen wir waren: Bionade Holunder, Kamillen Tee, Cola, Kakao, Bier und Weinschorle.
Ich unterhielt mich mit einem jungen Mann aus Afghanistan und fragte auch ihn, aus welcher Stadt er kommt. „Herat“, antwortete er und erkundigte sich neugierig, ob mir der Stadtname bekannt war. „Ja, Amir kommt auch aus Herat“, antwortete ich und deutete auf meinen Kumpel gegenüber von uns.„Wirklich? Woher genau kommst du?“, fragte er. Amir, der entzückt darüber war, dass er auf Dari sprechen konnte, antwortete in seiner Muttersprache. Meine Dari Sprachkenntnisse reichen nicht über „Tschüss“ und „Hallo“ hinaus, deshalb verstand ich natürlich kein einziges Wort, aber es war schön mit anzusehen, wie die beiden lachten und sich freuten, aus derselben Stadt zu kommen. Meine Aufmerksamkeit wurde geweckt, als sie sich plötzlich ganz verblüfft ansahen. Zwischen dem schnellen Dari und den überschwänglichen Gestikulationen, fielen nun auch deutsche Floskeln wie: „Echt?!“ und ein „Nein, wirklich?“. Ich platzte vor Neugier. Worüber unterhielten sie sich so aufgeregt? Dann wandten sie sich endlich an mich, um ihr Gespräch zu übersetzen. Amir meinte strahlend: „Meine Schwester hat in der gleichen Straße wie er gewohnt!“ „Und Amirs Familie hat meiner Familie mal ein Huhn geschenkt.“, ergänzte der junge Mann. Ich lachte und meinte: „ Ist ja lustig, dann seid ihr ja quasi Nachbarn gewesen.“ Bis heute bin ich noch immer fasziniert von dieser Begegnung. Kaum zu glauben, dass sich zwei Menschen, die mal fast nebeneinander gewohnt haben, das erste Mal in einer kleinen unscheinbaren Bar im tiefsten Norden Deutschlands über den Weg laufen, so weit entfernt von der alten Heimatstadt. Ich glaube, dass Amir in diesem Moment das Gefühl hatte, dass ihm jemand Vertrautes gegenüber sitzt. Jemand, den er schon lange kennt, obwohl er ihm eigentlich zuvor noch nicht begegnet war. Weil da plötzlich ein Mensch war, der den Ort kannte, an dem er aufwachsen ist. Und auch der junge Afghane, der ohne Familie in Deutschland war, meinte, dass die Begegnung mit Amir an jenem Abend eine der schönsten zufälligen Begegnungen gewesen ist, die er bis zu diesem Zeitpunkt erlebt hatte.
Eine Woche später trafen wir uns wieder. Denn nach der Konferenz, auf der wir viel Input erhalten hatten, fingen die Workshops und das Bar Camp an. Wir trafen uns dieses Mal auf einem Berg, dem Scheersberg, irgendwo im Nirgendwo in Schleswig-Holstein. Ja, ich gebe zu, dass der Scheersberg vielleicht kein richtiger Berg ist, aber für Flachlandkinder ist der Scheersberg mit seiner Höhe vo 70 Metern schon hoch genug, um ihn als Berg bezeichnen zu können.
Auf der Bergspitze rückten wir näher zusammen. Uns umgab eine besondere Atmosphäre. Wir wurden miteinander vertraut, tanzten Hand in Hand und spielten gemeinsam Fußball. Rückblickend bin ich etwas verwundert darüber, dass wir als Gruppe so vertraut miteinander umgehen konnten, obwohl wir uns gar nicht lange kannten. Man hätte meinen können, dass uns ein Zauber umgab. Ein Zauber, der ganz sachte ein Band um uns legte, das uns auf eine wundersame Weise miteinander verband. Und nur so kann ich mir erklären, dass wir am letzten Tag so eng beieinander saßen und uns offen unterhalten konnten. Im „Bar Camp“ konnten wir unsere eigenen Themen ansprechen. Eines dieser Themen war das Thema Flucht, denn wir hatten unter uns viele Menschen, die aus Syrien und Afghanistan geflüchtet waren und ihre Geschichten mit uns teilen wollten.
IS, Krieg, Syrien, Afghanistan, Flucht: Alles Themen, über die man täglich etwas in den Nachrichten hört. Doch ich habe noch nie so persönliche Geschichten gehört, wie an jenem Tag, als wir in dem kleinen Seminarraum zusammen saßen. Dieser Moment berührte mich sehr. Es macht einen Unterschied, ob man die grausamen Geschehnisse in den Nachrichten verfolgt oder plötzlich Menschen vor sich sitzen hat, die genau diese Grausamkeiten an eigener Haut erfahren mussten.
Einer von den Syrern hatte früher als Journalist gearbeitet. Auf der Konferenz hatte er einen Text verfasst, den er uns vorlesen wollte. Der Text endete mit dem Vers einer Sure aus dem Koran: „Wir schufen euch als Mann und Frau und machten euch zu Völkern und Stämmen, damit ihr euch kennen lernet.“
Dieser Satz fasste für mich so vieles zusammen, was ich an diesen Tagen erleben durfte. Wir kamen aus verschieden Städten zu der Länderkonferenz. Wir hatten unterschiedliche kulturelle Hintergründe, waren alle individuell sozialisiert. Manche kamen sogar aus anderen Ländern. Ja, alle Teilnehmenden waren sehr verschieden. So wie überall auf der Welt die Menschen sehr verschieden und einmalig sind. Und doch haben wir einander kennengelernt.
#begegnung #freundschaft
- von Dana Nguyen
- am 8. Juli 2019