Proaktives Handeln und Allianzen im Kampf gegen Rassismus
Proaktives Handeln und Allianzen im Kampf gegen Rassismus
10. Dezember 2024
Bei den JIK Talks 2024 mit dem Titel „Und jetzt? Gemeinsam durch bedrohliche Zeiten“ sprach unsere Programmleitung Dr. Asmaa Soliman darüber, warum es wichtig ist, Allianzen gegen Rassismus zu schließen und ins proaktive Handeln zu kommen. Ihren gesamten Input könnt ihr jetzt hier als Video anschauen oder nachlesen.
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Liebe Gäste,
ich grüße Sie im Namen der Jungen Islam Konferenz und der Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa. Ich freue mich auch sehr über die zahlreiche Teilnahme, sowohl hier vor Ort als auch online zugeschaltet, und möchte im Namen des Teams jedem Einzelnen von Ihnen sagen: Herzlich willkommen bei uns!
„Und jetzt? Gemeinsam durch bedrohliche Zeiten“, das ist der Titel unserer JIK Talks. Wer hätte gedacht, dass wir im Jahr 2024 so stark für unsere Demokratie kämpfen müssen, für Grundwerte und Rechte und insbesondere für Antirassismus? Denn nein, Demokratie ist nicht selbstverständlich und sie braucht die Vielen, die sie immer wieder verteidigen müssen und lauter sein müssen als die, die sie angreifen. Insbesondere die berechtigte Teilhabe von Minderheiten und deren Schutz ist etwas, was harte Arbeit braucht und wo alle mitanpacken müssen.
Der Diskurs rund um Migration und Islam, politische Debatten zu Maßnahmen gegen den islamistischen Terrorismus, bei dem ganze Communities pauschal in Mithaftung genommen werden, die Ergebnisse der Wahlen, die Correctiv-Recherche, you name it… Wir sehen, wie antimuslimischer Rassismus und Hetze gegen Muslim*innen auch in der Mitte der Gesellschaft existiert und wie er den Alltag vieler Menschen prägt. Es sind alles Entwicklungen, die vielen von uns Sorge machen.
Tatsächlich muss ich gar nicht so weit gehen. Ein ganz aktuelles Beispiel: unsere Veranstaltung heute. Zum ersten Mal, seitdem ich die Junge Islam Konferenz leite, mussten wir so viele Sicherheitsvorkehrungen treffen wie noch nie! Wir wissen, dass Programme, Themen und Menschen, die sich für den Zusammenhalt einsetzen, die migrantisch oder muslimisch gelesen werden und die, die ganz klar sagen: „Nein zu Rassismus und Nein zu Hass!“, angegriffen werden können.
Parallel hierzu gibt es aber auch viele positive Entwicklungen, mehr Teilhabe, mehr Repräsentation von Menschen mit Migrationsgeschichte, jemand wie Frau Reem Alabali-Radovan als Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration und als Antirassismusbeauftragte ist ein wichtiger Meilenstein in der deutschen Geschichte. Wir sehen auch, dass sich einiges bewegt hat und weiterhin bewegt, sowohl politisch als auch zivilgesellschaftlich in der Arbeit gegen Diskriminierung und Rassismus.
Das heißt, wir leben in einer Gleichzeitigkeit von mehr Teilhabe auf der einen Seite und mehr Ausgrenzung und Rassismus auf der anderen. Diese Dualität prägt das Leben von vielen Minderheiten in Deutschland. Deshalb sind auch für uns als Programm Empowerment und Safe Spaces genauso wichtig wie das Interagieren in der Mehrheitsgesellschaft. Beides wird gebraucht und beides muss unterstützt werden. Ich sage immer, hier tanken und hier fahren. Diese beiden Schwerpunkte sind auch Kernbausteine unserer Arbeit bei der JIK: Es geht darum, Räume zu schaffen, in denen betroffene Personen Kraft tanken und sich entfalten können, während sie gleichzeitig durch capacity building und skills training, z.B. im Bereich Medien, in der Mehrheitsgesellschaft agieren und da ihren wichtigen Beitrag machen.
Auch wenn der Kontext es einem nicht leicht macht, möchte ich heute dafür plädieren, dass Muslim*innen und Menschen, die von Rassismus betroffen sind, sich von dem ständigen Druck des Reagierens auf äußere Dinge, zumindest zeitweise, befreien und stattdessen proaktiv überlegen, welchen Beitrag sie leisten möchten und mit wem sie dafür zusammenarbeiten möchten. Die Frage ist, wie wir als Gesellschaft Allianzen proaktiv neu denken und gestalten können. Das soll nicht bedeuten, dass das Reagieren per se schlecht ist, im Gegenteil – es ist manchmal auch sehr wichtig. Aber genau so wichtig ist es auch, proaktiv zu agieren und das ist angesichts der vielen Einflüsse gar nicht so einfach…
Man muss gut überlegen: wann und wie möchte ich reagieren. Und man muss sich auch bewusst machen, dass das ständige Reagieren erschöpfend sein kann und einen nicht unbedingt immer weiterbringt. Stattdessen sollten wir überlegen: Wie wollen wir proaktiv handeln und so den Status Quo ändern? Welche Allianzen möchten wir bilden? Mit wem können wir zusammenarbeiten, um unsere Ziele zu erreichen? Ganz strategisch, ganz bedacht.
Seine Verbündeten zu finden sollte einer der ersten Schritte im proaktivem Handeln sein, denn zusammen sind wir stärker und es braucht Allianzen, auch insbesondere über Zugehörigkeiten hinaus. Unsere Demokratie zu verteidigen und sich für die gleichberechtigte Teilhabe von Minderheiten und gegen Rassismus einzusetzen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und muss gemeinsam angegangen werden. Zudem muss uns bewusst werden, dass diese Allianzen in allen Lebensbereichen notwendig sind, im Beruf, in der ehrenamtlichen Arbeit, in der Schule, überall. Sich mit anderen Eltern zusammenzutun und für die Anschaffung von rassismussensibleren Büchern in Kindergärten einzusetzen ist ein ganz einfaches Beispiel. Im beruflichen Kontext Verbündete zu finden, die einen unterstützen, höhere Positionen zu erreichen, ist ein weiteres.
Was wir auch noch stärker brauchen, ist eine engere Zusammenarbeit zwischen Organisationen, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzen und jene, die sich gegen antimuslimischen Rassismus einsetzen. Denn natürlich gehört beides zusammen, wird aber nicht immer zusammengedacht. Allianzen innerhalb der politischen Bildungsarbeit und der Jugendarbeit müssen stärker sein und Organisationen der Mehrheitsgesellschaft und der migrantischen Communities müssen noch näher zusammenrücken. Hier ist es wichtig, die relevante Arbeit von Migrantenselbstorganisationen und religiösen Gemeinschaften stärker einzubeziehen und zu schauen: Was sind unsere gemeinsamen Ziele und wie können wir unsere Stärken bündeln? Zudem müssen Minderheiten auch stärker miteinander arbeiten und sich nicht in unsinnige Konkurrenzkämpfe verlieren. Es braucht Allianzen auf so vielen Ebenen, zwischen Betroffenen und Nicht-Betroffenen von Rassismus, Muslim*innen und Nicht-Muslim*innen, Menschen aus Ost- und Westdeutschland, Allianzen über die Grenzen Deutschlands hinaus, Allianzen zwischen unterschiedlichen Minderheiten, im Moment auch ganz wichtig, zwischen Muslim*innen und Juden und Jüdinnen zum Beispiel. All diese Formen von Allianzen möchten wir auch in unserer eigenen Arbeit noch stärker fördern.
Ich freue mich sehr, dass wir heute einige dieser unterschiedlichen Ebenen von Allianzen näher kennenlernen werden und gemeinsam überlegen, wie wir noch besser Allianzen schmieden können und Handlungsräume schaffen, die uns und unsere Demokratie langfristig stärken.
Ich danke Ihnen, liebe Gäste, für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe, dass der heutige Abend eine Inspiration für mehr und diversere Zusammenarbeit sein wird.
Dieser Input wurde am 12. September 2024 bei den JIK Talks „Und jetzt? Gemeinsam durch bedrohliche Zeiten“ gehalten.
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- von Dr. Asmaa Soliman
- am 10. Dezember 2024