Integration keine Frage mehr
Integration keine Frage mehr
24. März 2017
In Berlin findet an diesem Wochenende wieder die Junge Islam Konferenz statt. Wie sehr es das eigene Leben verändern kann, daran teilzunehmen, zeigt der Erfahrungsbericht von Aisha, die bei der JIK in Nordrhein-Westfalen dabei war.
Zu mir: Mein Name ist Aisha, und ich bin 20 Jahre alt. Ursprünglich komme ich aus Sierra Leone. Ich bin vor fünf Jahren nach Deutschland gekommen. Ich studiere Literatur und Sprachwissenschaften in Aachen.
Wir alle sind in irgendeiner Form mit Vorurteilen konfrontiert.
Als schwarze Muslima ist Diskriminierung für mich Alltag. Lange habe ich die Augen davor verschlossen, habe nach Entschuldigungen gesucht, weshalb Menschen andere Menschen diskriminieren: Hatte die Person, die mich einen „Scheißflüchtling“ nannte, vielleicht nur einen schlechten Tag oder gerade ihren Job verloren? Diese Verdrängungstaktik war bequem, machte mich aber stumm. Doch während meiner Teilnahme an der Jungen Islam Konferenz in NRW fing ich an, die Dinge zu sehen, wie sie wirklich sind, und Diskriminierung als solche zu benennen.
Bis zu 50 Prozent aller Deutschen fühlt sich durch Muslime manchmal „fremd im eigenen Land“
An zwei Wochenenden im Herbst trafen sich 44 Jugendliche unterschiedlicher Herkunft und Religionszugehörigkeit zur ersten Jungen Islam Konferenz in NRW. In den letzten Jahren hat die gesellschaftliche Vielfalt durch neue Einwanderungsbewegungen in Deutschland weiter zugenommen und wurde mehr denn je zum Gegenstand politischer Debatten. Tendenziell ist es zu einer Spaltung der deutschen Gesellschaft gekommen: Laut einer Studie des Sozialwissenschaftlers Prof. Zick befürworten knapp 43 Prozent der Deutschen eine plurale und multiethnische Gesellschaft, ein Drittel fordert gar eine stärkere Willkommenskultur, wohingegen auch über ein Drittel der Deutschen findet, dass die Bundesrepublik „durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“ ist. Überdies stimmen laut der „Mitte-Studie“ der Universität Leipzig bis zu 50 Prozent der Deutschen der Aussage zu, sich „durch die vielen Muslime manchmal fremd im eigenen Land zu fühlen“, und über 40 Prozent sähen es tatsächlich gern, wenn Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland untersagt würde.
In dieser Stunde der Verwirrung und Spaltung trafen die Jugendlichen sich
Genau in dieser Stunde der Verwirrung und Spaltung trafen wir Jugendlichen uns unter dem Motto „Zusammenhalt – jetzt erst recht!“. Von dem Motto habe ich mich direkt angesprochen gefühlt. Das wollte ich mir nicht entgehen lassen: weder die Vorträge von Experten wie Andreas Zick noch das persönliche Treffen mit dem Integrationsminister von NRW, Rainer Schmeltzer. Wann habe ich schon mal die Gelegenheit, mit so jemandem direkt zu diskutieren?
Doch meine Ängste am ersten Tag der Veranstaltung waren dieselben, die ich aus meinem täglichen Leben kenne:
mangelndes Selbstbewusstsein als Ergebnis von Diskriminierung. Ich rechnete damit, dass sich dort junge, kluge und engagierte Köpfe begegnen – aber eben Leute, die meine Probleme nicht teilen. Auch wenn sie vielleicht das Kopftuch oder einen Bart tragen, sind sie „weiß“. Und das ist doch immer ein Vorteil. Ich würde nur zuhören, aus der Distanz beobachten und nichts von mir geben, denn sie würden mich sowieso nicht verstehen, dachte ich.
Doch schon nach den ersten Stunden im Düsseldorfer Rathaus merkte ich, dass auch ich falsche Bilder im Kopf hatte. Ich war überrascht, als ich merkte, dass wir doch so vieles gemeinsam haben. Auch viele der anderen Teilnehmer*innen interessierten sich für Sprache, teilten ähnliche Diskriminierungserfahrungen und hatten dieselben politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen von einem toleranten Miteinander.
Sich nicht Vorurteile an den Kopf werfen, sondern Fragen
Und genau darum ging es: Gemeinsamkeiten stärken, Differenzen abbauen. Jugendliche mit und ohne Migrationsgeschichte und unterschiedlicher Religionszugehörigkeit, die zusammenkommen – nicht um sich gegenseitig Vorurteile an den Kopf zu werfen, sondern um einander zuzuhören, Fragen zu stellen und einen offenen Diskurs zu fördern. Das taten wir, indem wir uns mit Expert*innen aus den Bereichen Rassismusforschung, Islamwissenschaften und Politik austauschten und dann gemeinsam Themen und Handlungsmöglichkeiten entwickelten.
Eines der Themen war die Darstellung der „muslimischen Frau“ in den Medien. Sie kommt meist nur als Objekt vor, als Symbol für Unterdrückung und Passivität. Dieses Bild wurde auf der Konferenz aufgebrochen. Alle muslimischen Frauen, die teilnahmen, sind meiner Meinung nach Beispiele starker, emanzipierter und komplett „integrierter“ Frauen. Psychologie, Medizin, Sozialwesen, Naturwissenschaften – sie waren in jedem Bereich vertreten, hatten eine starke Meinung und keine Scheu, diese kundzutun. Nur in den Medien kamen sie eher selten vor. Aber das würden wir ändern, nahmen wir uns vor. Auch mir persönlich gab das einen Motivationsschub: Ich beschloss, mich durch meine Kunst und meine lyrischen Texte zum selbstverständlichen Teil dieser Gesellschaft zu machen. Es sind Texte, die zeigen, dass es kein Widerspruch ist, schwarz und muslimisch und deutsch zu sein. Texte, die schmerzhafte Diskriminierungserfahrungen beschreiben in der Hoffnung, dass Menschen sensibler für Rassismus werden.
Der Entschluss, als Muslima künftig selbstbewusster aufzutreten
Mit meiner Teilnahme an der Konferenz wagte ich es, mich zu zeigen und zu beweisen, dass ich dazugehöre. Vorher wusste ich auch nach fünf Jahren in Deutschland immer noch nicht zu sagen, ob ich nun „integriert“ war oder nicht – auch weil nicht jeder das Gleiche darunter versteht.
Lange beschäftigte mich das Thema, ich wollte den Anspruch erfüllen und „mich integrieren“, aber was fehlte noch?
Ich erinnere mich genau an den Moment, als mir klar wurde: Nichts fehlt mehr. Das war im Gespräch mit dem Minister. Ich wollte schon das Mikro ergreifen und ihn ganz offen fragen: Herr Schmeltzer, nachdem ich nun fünf Jahre in Deutschland lebe, Deutsch spreche und an die Universität gehe, bin ich jetzt endlich „integriert“? – doch dann tat ich es nicht. Wozu brauchte ich eigentlich noch die Bestätigung von ihm? Nachdem ich auf der JIK in einem politischen Planspiel im Landtag die Rolle der Bürgermeisterin erfolgreich gemeistert hatte, war ich selbstsicher genug, mich selbst als „integriert“ anzuerkennen.
Und ich fasste den Entschluss. Indem ich als Muslima künftig selbstbewusster auftreten und aktiv werden wollte, würde ich meinen Beitrag dazu leisten, der Mehrheitsgesellschaft zu zeigen: Sie wird keinesfalls „überfremdet“. Vielmehr sind selbstbewusste junge Muslima wie ich ebenso Teil der Gesellschaft.
Die Junge Islam Konferenz wurde zum ständigen Begleiter im Alltag
Die JIK ist mehr als nur zwei Wochenenden, an denen sich Menschen zu einer Konferenz zusammenfinden. Sie begleitet mich jetzt ständig – in Form neu gewonnener Freunde wie auch in einem selbstbewussteren Auftreten. Größter Lerneffekt: Verdrängung ist auch keine Lösung.
Das zeigt auch das Erlebnis einer anderen jungen Muslima, die an der JIK teilgenommen hat. Ihr erster Schultag an einer neuen Schule hatte mit dem Kommentar einer Lehrerin begonnen, der sie bis heute beschäftigt: „Noch so eine unterdrückte Schülerin“, hatte die Lehrerin sie begrüßt. Nun, nachdem sie diese Diskriminierungserfahrung auf der JIK mit anderen Betroffenen teilen konnte, fasste sie Mut und suchte ihre ehemalige Lehrerin auf – und erklärte ihr, wie sehr sie das verletzt hatte. Hieraus entstand ein wichtiger Dialog und am Ende eine Versöhnung.
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- von JIK Redaktion
- am 24. März 2017