Sportvereine – eine Welt für sich?
Sportvereine – eine Welt für sich?
20. Oktober 2022
Es müsste der Sommer 2008 gewesen sein. Der Sommer, in dem ich zum ersten Mal in Kontakt mit der Leichtathletik kam. Meine damalige Kindergartengruppe besuchte meinen zukünftigen Verein, um uns Kindern mit einer Facette an Sportarten bekannt zu machen. Ich möchte es fast schon als Schicksal bezeichnen, dass gerade ich im Alter von fünf Jahren die Trainer*innen von meinem bis dahin unbekanntem Talent überzeugen konnte. Meine Anne (dt. Mutter) war sofort Feuer und Flamme für die Idee, mich im Verein anzumelden.
Mein Name ist Fatima Kaftan, 20 Jahre alt, leidenschaftliche Leichtathletin und seit einigen Jahren selbst Trainerin. Wenn ich jetzt an mein 15-jähriges Vereinsleben zurückdenke, habe ich überwiegend positive und wunderschöne Erinnerungen. Die Trainer*innen oder auch Athlet*innen würde ich schon als zweite Familie bezeichnen, die mir Unterstützung und Sicherheit entgegengebracht haben. Denke ich aber länger über die vergangenen Jahre nach, kommen mir auch einige negative Erfahrungen in den Sinn, durch die ich meine Zugehörigkeit zum Verein angezweifelt habe. Gerne möchte ich meine Gedanken über den Vereinssport teilen, um zu verdeutlichen, welchen Hürden man als Person of Color in einer überwiegend weißen Sportart ausgesetzt ist.
Wird Sport dem Inklusionsanspruch ohne Vorbilder gerecht?
Der Sport kann ein soziales Instrument sein, um Begegnungen innerhalb einer Gesellschaft zu ermöglichen. Durch den Vereinssport werden Menschen, unabhängig ihrer Herkunft oder ihres Alters, zusammengeführt und verfolgen ein gemeinsames Ziel: den sportlichen Erfolg. Das ist die Vorstellung, die wir uns alle vom Sport erhoffen. Meine langjährige Vereinserfahrung hat mir jedoch leider gezeigt, dass der Vereinssport nicht dem damit oft verbundenen Inklusionsgedanken gerecht wird. Schaut man sich deutsche Vereine an, fällt auf, dass die Mitglieder überwiegend weiß sind. BIPoC sind im Sportvereinsleben unterrepräsentiert, bis kaum vertreten. Ich habe selbst erfahren, dass die Teilhabe am Sport mit Privilegien verbunden ist, die für nicht-weiße Menschen nur schwer erreichbar sind. Wenn ich mir meinen eigenen Verein anschaue, bin ich einfach glücklich, Kinder und Jugendliche aus unterschiedlichen sozialen Schichten und Kulturen sehen zu können. Jedoch war das Bild nicht immer so bunt.
Als ich mit der Leichtathletik angefangen habe, war ich noch die erste Person of Color des Vereins. Meine Trainer*innen und Athlet*innen haben mich damals mit offenen Armen empfangen. Dennoch merkte ich schnell, dass die Teilnahme an manchen Aktivitäten nicht reibungslos ablief. Manchmal sind es die vermeintlich kleinen Dinge, die mir dies zeigten. Ein Beispiel dafür sind die gemeinsamen Grillabende, die zu Feier eines harten Wettkampfes stattfanden. Im Gegensatz zu meinen Mitstreiter*innen musste ich meine eigenen, helalen, in Alufolie eingepackten Würstchen selbst mitbringen. Es wurde nicht darauf geachtet, ob und was ich am Ende des Wettkampfs beim Grillen und gemeinsamen Zusammensitzen essen würde können. Andere Kinder konnten unbeschwert ihre nicht-selber bezahlten Bratwürste genießen. Bis heute wird darauf keine Rücksicht genommen. Heute kann ich darüber schmunzeln, als Kind fühlt man sich aber ausgeschlossen. Durch solch kleine Aufmerksamkeiten kann ein Klima der Zugehörigkeit geschaffen werden. Jetzt in der Rolle der Trainerin bin ich glücklich, eine Vielfalt an Kindern in meiner Gruppe willkommen heißen zu können.
Die Diversität kam erst 2015 in den Verein. Als die ersten Personen mit Fluchterfahrung in unserer Kommune ankamen, suchte die Gemeinde sofort nach Möglichkeiten diese Menschen zu „integrieren“. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl BIPoCs zu sehen, die Spaß an der Leichtathletik haben und sich im Sportverein wohlfühlen. Die Kinder haben nun eine Trainerin, die ihre Lebensrealität nicht nur nachvollziehen, sondern auch nachempfinden kann. Ich kann dafür sorgen, dass ihnen der Einstieg ins Vereinsleben erleichtert wird. Kommt die Frage auf, warum Hamza nicht beim Training war und die Antwort darauf ist, dass Eid gefeiert wird, habe ich die Möglichkeit ihm zur Seite zu springen und ihn in seiner Erklärung zu unterstützen. Etwas, wovon ich in meiner Kindheit nur träumen konnte. Mir geht jedes Mal das Herz auf, wenn die BIPoC Kinder „hallo Fatima“ sagen. Ein ihnen vertrauter Name. Das Leuchten in den Augen ist ein Licht der Sicherheit und des Wohlbefindens. Die Kinder haben in mir eine ihnen ähnelnde Person mit ähnlicher Sozialisierung gefunden. Ich bin unheimlich froh, den Kindern so einen Safe Space ermöglichen zu können, den ich damals missen musste.
Dresscode im Sport
Bei dem Gedanken an die Leichtathletik haben viele erstmal eine Frau mit kurzem Oberteil und einer noch kürzeren Hose vor Augen. Sollten die Sportler*innnen diesen Dresscode aus freien Stücken annehmen, respektiere und unterstütze ich diese Entscheidung natürlich. Jeder Person sollte es freistehen, wie sie sich für den Sport kleiden möchte. Die Realität ist aber leider eine andere. Sexistische Dresscodes sind der Alltag des Leichtathletik Sports. Sportler*innen dürfen nicht frei entscheiden, wie viel oder wenig Haut sie bei der Kleiderwahl zeigen wollen. Sie müssen sich dem Zwang aus der Luft gegriffener Dresscodes fügen und ihr persönliches Wohlbefinden diesen Kleidungsregeln unterordnen. Wir sprechen immer von Emanzipation und wollen, dass sich Frauen in dem was sie tun, empowert fühlen. Jedoch wird durch einen vorgeschriebenen Dresscode die eigene Entscheidungsfähigkeit verhindert. Ein sehr rückschrittiges Verhalten. Beim Sport kommt es nämlich auf die Leistung der Athlet*innen an – oder zumindest sollte man das meinen. Wenig überraschend, sind überwiegend Frauen von solchen Dresscodes betroffen.
Ich kann mich gut an die Zeit erinnern, ab der ein bestimmter Dresscode von uns Athlet*innen auf den Wettkämpfen verlangt wurde. Als ich mein Entsetzen über die Situation äußerte, stieß ich auf viel Unverständnis. Menschen, die ich als Vertrauensperson im Verein gesehen hatte, konnten meine Ablehnung kaum nachvollziehen und haben weiter auf mich eingeredet, diesen Dresscode doch anzunehmen. Ich musste mir oft anhören, dass ich mich nicht so anstellen solle, schließlich würden kürzere Kleidungsstücke mich zu noch besseren Ergebnissen führen. Mit kürzeren Kleidungsstücken sei der Windwiderstand nicht so stark wie bei längeren Klamotten. Für mich kaum verständlich.
Wie soll ich mein Können abrufen, wenn ich mich in meinem Auftreten keineswegs wohlfühle? Für mich ist das ein Paradox, das ich bis heute nicht nachvollziehen kann. Unabhängig davon, dass ich Muslima bin und ich für mich aus religiösen Gründen einen Kleidungsstil festgelegt habe, der mit meinen Werten und Normen übereinstimmt, möchte ich nicht, dass man Frauen sagt, was sie zu tragen haben. Es ist neben der religiösen Frage einfach auch eine Frage der Selbstbestimmung. Ich habe mich von diesen Vorschriften nicht abhalten lassen und weiterhin Wettkämpfe in meinem persönlichen Dresscode bestritten. Natürlich durfte ich mir bei jeder etwas schlechteren Leistung anhören, dass mit kürzeren Klamotten eine bessere Platzierung möglich gewesen wäre. In diesem Moment war das für mich irrelevant. Was für mich zählt, ist die Tatsache, dass ich mir selbst treu geblieben bin und mich in meiner Emanzipation nicht habe einschränken lassen.
Damit Sport dem Inklusionsgedanken gerecht wird, müssen wir dafür sorgen, dass die Teilhabe für alle Bevölkerungsschichten, für alle Religionsgruppen, gendergerecht und auch barrierefrei ermöglicht wird. Wir müssen ein größeres Verständnis für die unterschiedlichen Lebensrealitäten und Sozialisierungen der Sportler*innen aufbringen. Nur so kann ein Klima der Zugehörigkeit geschaffen werden und der Sport ein Ort der Zusammenkunft bleibt.
#begegnung #zugehörigkeit
- von Fatima Meryem Kaftan
- am 20. Oktober 2022