Die Zukunft der Älteren

Die Zukunft der Älteren

22. April 2025

Oft fragen wir unsere Eltern, Großeltern und älteren Verwandten, wie es früher war. Wie sie gelebt und was sie erlebt haben. Was würden sie erzählen, wenn wir sie stattdessen nach ihrer Zukunft fragten? In dem zweiten von drei Interviews für unser Magazin bittersüß hat Netzwerkmitglied und Medienakademieteilnehmerin Noura Boubi genau das getan. Sie hat mit ihrer Mutter Yezza Della über Wünsche, Träume und die Zukunft gesprochen und sie porträtiert.

© Noura Boubi
© Noura Boubi
© Noura Boubi

Noura: Hallo, Oumi (arabisch für Mama). Ich meine, wir kennen uns besser als gut, aber auch dich würde ich bitten, dich kurz vorzustellen.

Yezza: Mein Name ist Yezza Della, und ich werde morgen 64 Jahre alt. Ich komme ursprünglich aus Tunesien und lebe seit über 45 Jahren hier in Deutschland. Über 35 Jahre lang war ich Montagearbeiterin in einer Metallverarbeitungsfirma. Und jetzt genieße ich meine Rente.

Noura: Was bedeutet denn Zukunft für dich?

Yezza: Zukunft heißt für mich: alles, was kommt. Alles, was morgen und übermorgen kommt.

Noura: Und wie hast du dir die Zukunft vorgestellt, als du jünger warst?

Yezza: Als Kind habe ich von einem schönen Leben geträumt. Dazu gehörten ein schönes Haus und eine glückliche und gesunde Familie. Ich wollte auch sehr gerne viel um die Welt reisen und Menschen aus aller Welt treffen. Und das tue ich jetzt zum Glück auch. Wenn ich darüber nachdenke, habe ich all meine Wünsche erfüllt. Dafür danke ich Allah.

Noura: Gibt es denn noch etwas, was du erreichen möchtest?

Yezza: Ich habe schon alles erreicht, was ich mir vorgenommen habe. Dafür danke ich Allah subhanahu wa ta’ala. Zu meinen Wünschen gehört weiterhin viel Gesundheit für mich und meine Familie. Zudem würde ich auch sehr gerne noch einmal die Hadj (islamische Pilgerfahrt) oder eine Ummrah (kleine islamische Pilgerfahrt) machen. Auch ärmeren Menschen aus aller Welt zu helfen, gehört zu meinen Wünschen. Aber mein allergrößter Wunsch ist es, den Aufbau einer Moschee mitzufinanzieren. Denn wenn ich sterbe, möchte ich von Allah belohnt werden. Ich will mit einem guten Gewissen sterben.

Noura: In sha Allah kannst du alles erreichen, was du willst, Mama. Meine nächste Frage ist, ob du dir vorstellen kannst, für den Rest deines Lebens hier in Deutschland zu leben.

Yezza: Vor dem Tod meines Mannes war geplant, dass wir mal hier sind und mal in Tunesien. So wie bei den meisten Menschen aus meiner Generation. Aber seitdem ich verwitwet bin, möchte ich das nicht. Dann bin ich lieber bei meinen Kindern und Enkelkindern. Ohne sie schaffe ich es nicht. Ich bin mehrmals im Jahr für mehrere Wochen in der Heimat, um meine Familie zu besuchen, da meine Mutter und meine Geschwister in Tunesien leben.

Noura: Was wünschst du dir denn von der muslimischen Community in Deutschland für die Zukunft?

Ich wünsche mir für meine Community, dass der Frauenbereich in meiner Moschee größer wird, damit mehr Menschen an besonderen Tagen zusammenkommen.

Der Frauenbereich ist leider überall sehr klein. Nicht nur in meiner Moschee.

Noura: Okay, jetzt die andere Perspektive. Hast du das Gefühl, dass sich etwas in der Mehrheitsgesellschaft verändert hat?

Yezza: Ich habe das Gefühl, dass sie sich ein wenig verändert hat. Früher hatten wir sehr viel Angst vor Diskriminierung. Damals haben wir uns versteckt. Aber jetzt sind wir sichtbar, und überall in Deutschland findest du Menschen aus aller Welt. Ob eine Schwarze Frau mit Kopftuch, die im Krankenhaus als Ärztin arbeitet, oder ein muslimischer Mann als Lehrer in der Schule. Es hat sich total verändert, und das finde ich schön. Es wird immer besser. Früher haben Ausländer nur in Fabriken gearbeitet. In eurem Alter war ich viel ängstlicher. Wir haben uns immer versteckt und sind nicht so weit weg von zu Hause gereist. Die neue Generation traut sich viel mehr als wir früher. Und jetzt reist ihr überallhin ohne Angst. Ihr habt viel mehr Freiheiten, und ich hoffe, dass ihr in der Zukunft noch mehr Freiheiten bekommt. Ich glaube einfach, dass ihr eine gute Zukunft hier in Deutschland haben werdet. Ich hoffe es für euch.

Noura: Das hoffe ich auch … Was ist denn die wichtigste Lektion, die du im Leben gelernt hast, die du gerne an die nächsten Generationen weitergeben möchtest?

Yezza: Lernt die Sprache und nutzt eure Freiheiten! Ich bereue es, dass ich die Sprache nicht richtig gelernt habe. Wir hatten die Möglichkeiten früher aber auch nicht. So was wie einen Sprachkurs gab es nicht. Ohne Sprache kann man hier keine Ausbildung oder einen Universitätsabschluss machen. Ich war eine sehr gute Schülerin in der Heimat und trotzdem habe ich nichts in der Hand. Gott sei Dank haben meine Kinder das geschafft, was ich nicht geschafft habe. Mein verstorbener Ehemann war übrigens viel aktiver als ich. Früher waren ausländische Männer im Gegensatz zu den Frauen immer unterwegs. Wir Frauen sind nirgendwo hingegangen und hatten auch keine richtigen Freundschaften. Wenn ich vielleicht eine gute deutsche Nachbarin gehabt hätte, hätte ich vielleicht viel mehr gemacht und die Sprache besser gelernt. Aber so ist das Leben.

Noura: Vielen Dank für das Interview, Mama.

Das Interview ist im Printmagazin ‚bittersüß‘ der JIK Medienakademie 2023 erschienen.

#herkunft #interview

  • von Noura Boubi
  • am 22. April 2025

Diesen Artikel teilen